Home » Tourberichte » Hardangervidda im Winter: Tag 4

Hardangervidda im Winter: Tag 4

eingetragen in: Tourberichte 0

Gut geschlafen. Bereits um 06:30 Uhr hält es mich nicht mehr im Bett. Ich stehe auf und entzünde das Feuer im Ofen. Als nächstes steht der Wasserkessel auf dem Gasherd und der Kaffee ist vorbereitet. Routine an Tag 4. Draußen geht gerade die Sonne auf. Wieder ist keine Wolke am Himmel, den zweiten Tag in Folge. Nichts könnte sich besser auf meine Stimmung auswirken und so mache ich absolut keine Anstalten zu trödeln.

Litlos am Morgen
Litlos am Morgen

„Mixed Flakes with Fruit“ zum Frühstück

Kurz darauf erscheint auch Thomas. Wir hatten heute Nacht den Luxus, dass jeder von uns eines der 3er Zimmer der Hütte für sich hatte. Da wir den ganzen Abend die Türen aufstehen ließen, wurden die Zimmer etwas von dem Ofen mitgeheizt. Wir frühstücken. „Mixed Flakes with Fruit“ von Blå Band steht bei mir heute Morgen auf dem Frühstücksplan. Kann man essen, aber der Apfelzimt Haferbrei der selben Marke mundet mir besser. Bald darauf geht es an das Packen der Pulka. Keiner hält den anderen auf, alles läuft inzwischen glatt von der Hand. Jeder Gegenstand hat sowohl in den Packsäcken als auch in der Pulka seinen Platz gefunden. So sind wir gegen 8 Uhr abmarschbereit.

Gestern habe ich beschlossen meinen, bereits in Hellevassbu neu aufgestellten Reiseplan nochmals umzuwerfen und Thomas nach Sandhaug zu folgen. Dadurch komme ich in den Genuss wenigstens heute mal nicht selbst spuren zu müssen.

Auf nach Sandhaug

Uff… trotz Spur macht der mich kaputt!

Fast wie mit einem Lineal gezogen werden wir in Richtung Nordosten zur Hütte nach Sandhaug laufen. Thomas legt gleich kräftig am ersten Anstieg hinter der Hütte von Litlos los. Nach wenigen Minuten ist er schon gute 100 Meter vor mir. Ich schwitze sofort und reiße alle Reißverschlüsse der Hardshell auf. „Uff… trotz Spur macht der mich kaputt!“, denke ich nur. Thomas merkt, dass er recht flott ist und ruft mir nur zu er wäre morgens immer sehr schnell um mittags dann so richtig einzubrechen. Ja, okay… passt schon! Ich versuche mein Tempo zu laufen um mich nicht in den ersten Stunden total zu verheizen.

Thomas spurt in einem Affenzahn
Thomas spurt in einem Affenzahn

So wie ich macht Thomas jede Stunde eine kurze Pause. 10 Minuten sind bei ihm der Standard, bei mir 5 Minuten. Die Differenz passt super um wieder aufzuschließen und gemeinsam zu pausieren.

Thomas nutzt kein festes Zuggestänge. So hat er immer schnell eine bequeme Pausenbank zur Hand
Thomas nutzt kein festes Zuggestänge. So hat er immer schnell eine bequeme Pausenbank zur Hand

„Fuchsforscher“ und die aktuelle Wettervorhersage

Nach dem ersten Anstieg wird das Gelände tatsächlich, wie von den zwei Norwegerinnen in Hellevassbu prognostiziert, flacher. Auf dem See Ambiørgsvatnet zieht uns ein Ski-Doo entgegen. Ein kurzes Winken von Thomas und schon wirft der Fahrer den Lenker herum und hält direkt auf uns zu. Norwegisches Geschnatter beginnt von dem ich, trotz meiner Schwedischkenntnisse von gut 1200 Wörtern, nur 5% verstehe. Auf jeden Fall geht es als erstes um das Wetter. Soviel ist klar! Der Ski-Doo ist mit zwei „Fuchsforschern“ besetzt, die die einzelnen eingerichteten Futterstellen und Kamerafallen kontrollieren. Von ihnen erfahren wir, dass sich das Wetter spätestens Morgennachmittag wieder eintrüben wird. Wind bis 13 m/s ist vorausgesagt. Okay,… es war klar, dass es irgendwann wieder schlechter werden würde, aber heute haben wir noch mal einen super Tag und den wollen wir nutzen! Die Sonne scheint in voller Pracht und es ist quasi windstill. Nach dem kurzen Schnack ziehen die Forscher weiter und schon wenige Minuten später ist der Ski-Doo aus unserem Blickfeld verschwunden.

Nach dem See Ambiørgsvatnet geht es in typischer Hardangerviddamanier wieder auf und ab. Hier merke ich, dass meine Schuppenski etwas besser stollen als die Wachsski von Thomas. Er muss deutlich früher als ich in den Skatingschritt wechseln. Dafür ist er in der Ebene gefühlt einen Tick schneller. Ohne Frage hat er aber auch eine deutlich bessere Langlauftechnik als ich. Auf jeden Fall fühle ich mich nicht schlecht, nur weil ein Norweger, der auch schon Grönland durchquert hat und in dessen Tourenbuch einige Touren auf der Vidda stehen, schneller als ich auf nordischen Ski unterwegs ist. 😉

Hinauf!
Hinauf!

Bei der nächsten Pause zieht Thomas erneut die Haribotüte aus der Tasche und hält sie mir hin. Ich schüttele den Kopf und leere mir zwei Hände voll Nussmix in den Mund. Das kommt irgendwie besser. Am höchsten Punkt der heutigen Etappe auf dem „Grotflott“ kommt linker Hand erneut der Hårteigen in Sicht. Selfies, einige Fotos und ein Panoramavideo folgen. Weiter!

Sonnenbrand auf der Nase

Während wir den See Bismarvatnet überqueren macht sich die Sonne bemerkbar. Sie brennt hart vom Himmel und diesmal meldet sich die Nase nicht aufgrund des kalten Windes, sondern wegen dem einsetzenden Sonnenbrand. Ich ziehe den Buff, den ich immer um den Hals trage, über den Hinterkopf und die Ohren um nicht total zu verbrennen. Zum Glück habe ich mich heute Morgen eingecremt. Lichtschutzfaktor 50+ „Atomkrieg“. So trotte ich Kilometer um Kilometer 100 m hinter Thomas her. Es ist total stumpfsinnig und eintönig, einen Fuß vor den anderen. Seltsamerweise fällt es mir absolut nicht schwer. Ich brauche keine Musik auf den Ohren oder anderweitige Ablenkung. Ich bin nur mit mir und meinen Gedanken alleine. Zuhause würde ich unter diesen Umständen verrückt werden, aber hier ist es wirklich so etwas wie Erholung. Ich bin wohl einfach gut drauf heute.

Auf dem Bismarvatnet
Auf dem Bismarvatnet

Ende eines Running Gag

Nach dem folgenden Anstieg machen wir eine längere Mittagspause. Thomas zieht erneut die Tüte Tropifrutti aus der Tasche und murmelt einige Worte auf Norwegisch anstatt sie mir, wie von den davor liegenden Pausen gewohnt, hin zu halten. Der Inhalt der Tüte ist aufgrund der aufgeheizten Bedingungen in der Jackeninnentasche zu einem massiven Klotz geschmolzen. Morgen wird er sich wie von seiner Salami, die er im Gepäck hat, sauber süße Scheiben absäbeln können. Der Running Gag ist damit am Ende angelangt. Ich bekomme für den Rest des Tages kein Haribo mehr angeboten.

Der Wind hat merklich zugenommen und von Südwesten kommend bauen sich langsam die ersten Wolken auf. Ja,… das schöne Wetter scheint definitiv verdrängt zu werden. Für heute sollte es aber noch halten, so dass wir uns nicht wirklich beeilen müssen. Aber ob der Wetterumschwung wirklich erst morgen Mittag eintreffen wird? Bis dahin genieße ich einfach die Sonne in vollen Zügen!

Sonne satt am heutigen 4. Tourentag!
Sonne satt am heutigen 4. Tourentag!

Die Winterroute führt uns über einen vereisten Hügel. Thomas und ich diskutieren noch ob es vielleicht sinnvoll ist ihn zu umgehen. Ja, im Nachhinein wäre es das gewesen. Wir müssen brutal die Kanten der Ski in die eisigen Platten hauen um nicht mit Sack und Pack wieder rückwärts den Anstieg hinunter zu rutschen. Allerdings hat Thomas am Gipfel Handyempfang und kann eine wichtige Nachricht für zu Hause absetzen. Okay, dann hat sich die Schinderei wenigstens gelohnt. Mein deutsches Handy wird leider von den norwegischen Funkwellen ignoriert und so gelingt es mir heute noch nicht ein erstes Lebenszeichen auf der Tour zu verschicken.

Bald darauf passieren wir die Besso Turisthytte. Nun ist es nicht mehr weit bis Sandhaug!

Wir passieren die Besso Turisthytte auf unserer linken Seite
Wir passieren die Besso Turisthytte auf unserer linken Seite

Eine zweite Meinung zum kommenden Wetter

Da tauchen zwei Stecknadelkopf große Punkte in der weiten Schneefläche vor uns auf. Wenige Minuten später ist klar, ein weiterer Sologeher mit Pulka. Also das bekannte Spiel: Winken und direkt auf den Kollegen zuhalten. Man will ja erfahren wie das Wetter werden wird. 😉

So wird auf der Vidda die neuste Wettervorhersage in Erfahrung gebracht
So wird auf der Vidda die neuste Wettervorhersage in Erfahrung gebracht

Anschließend geht es noch 4 km über den zugefrorenen Nordmannslågen bis zu unserem Ziel. Thomas und ich laufen nebeneinander und unterhalten uns über Gott und die Welt. So kurz vor unserem Ziel, mit der Hütte unmittelbar vor Augen haben wir es auf einmal alles andere als eilig.

Zwei Soloreisende gemeinsam auf dem Nordmannslågen
Zwei Soloreisende gemeinsam auf dem Nordmannslågen

Es ist bereits kurz nach 17 Uhr als wir an der Hütte eintreffen. Diesmal probieren wir es direkt an der richtigen Tür. Thomas erklärt mir, dass die Selbstversorgerhütte immer etwas abseits der Haupthütte steht, dass falls sie jemand im Winter abfackelt nicht auch die Haupthütte niederbrennt. Ja, das macht Sinn! 😉

Die Hütte Sandhaug
Die Hütte Sandhaug

Abendliche Routine

Es folgt die abendliche Routine. Pulka entladen, Ofen anfeuern, Schnee schmelzen. Heute Abend habe ich aber so etwas wie „all inclusive“. Thomas kümmert sich um all das und ich sitze einfach mal nur da. 25 km und 500 hm haben wir heute überwunden. Geht doch… alles eine Frage der niedergetretenen Spur des Vordermanns. 😉 Vor Thomas habe ich ein Mords Respekt. Hat er doch an den ersten zwei Tagen das zurückgelegt wofür ich drei Tage gebraucht habe und nun hat er auch noch die gesamte Strecke von Litlos nach Sandhaug gespurt. Ich beschließe im Hinterkopf abzuspeichern, dass die norwegischen People einfach hart drauf sind…

nico från Tyskland var här.

Ich blättere im Hüttenbuch und im Hüttenprotkoll. Dort finde ich den Eintrag der zwei Norwegerinnen. Ich muss grinsen obwohl ich nie daran gezweifelt habe, dass ihre Geschichte stimmt. So „begegnet“ man sich wieder. Anschließend kritzele ich ein paar Worte zum heutigen Tag, dem Woher und Wohin in das Hüttenbuch. Ich unterschreibe mit „nico från Tyskland var här.“, ist zwar schwedisch aber wird auch hier verstanden werden… 😉

Zum Abendessen zieht Thomas einen Flachmann mit Aquavit aus der Tasche. Auf seinen Kommentar, dass dies der wichtigste aller Ausrüstungsgegenstände ist stürze ich den Rest Kaffee hinunter und halte ihm meine Tasse hin. Ein Strahl wandert aus dem Flachmann in die Tasse. Ich mag ja gar keinen Alkohol und Schnaps hasse ich! Aber jetzt ist er genau das Richtige. Trotzdem schüttelt es mich. Thomas berichtet von der „Schnapsbar“ die sie in Grönland dabei hatten. Jeden Abend der 30 Tage auf dem Innlandeis haben sie sich einen kleinen Schuss abends im Zelt genehmigt. Nicht viel, nur um die Moral zu erhalten. Klar! Da fällt mir ein, zu Hause steht ein geschenkter Flachmann im Schrank, noch nie benutzt. Ich glaube den setze ich für die nächste Wintertour mal auf die Packliste.

Gegen 20:30 Uhr beenden wir den Tag und jeder zieht sich in sein Zimmer zurück. Wieder haben wir jeweils ein 4er Zimmer für uns alleine. Da fliegt die Tür der Hütte auf und zwei weitere Tourengeher treten ein. Sie sind heute Morgen in Kjeldebu gestartet. An mehr Infos habe ich gerade aber kein Interesse und ziehe die Tür hinter mir zu. Morgen dann…

Schreibe einen Kommentar