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Hardangervidda im Winter: Tag 2

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Schlecht geschlafen. Die Beine haben die halbe Nacht geschmerzt und gegen Morgen hat sich das Zelt in eine Tropfsteinhöhle verwandelt. Ich glaube es sind leichte Pulsgrade draußen. Zum Glück habe ich nicht gefroren und die Beschichtung meines Schlafsacks hat die Feuchtigkeit größtenteils zwischen Zeltwand und Schlafsackaußenseite halten können.

Neuschnee – wieder…

Über Nacht hat sich der Wind gelegt, aber es hat 5 cm geschneit. Der Himmel ist komplett wolkenverhangen. Also heist es wieder eine eigene Spur treten. Aber zumindest eine gewisse Wetterberuhigung ist festzustellen. Ich nutze die Ruhe und werfe den Kocher außerhalb des Zelts an, um nicht noch mehr Feuchtigkeit einzutragen. Nach einer Stunde habe ich genug heißes Wasser für Frühstück und Kaffee erschmolzen. Auch die Thermoskannen sind wieder randvoll.

Mein Camp am Morgen
Mein Camp am Morgen

Nachdem ich das Camp abgebaut und die Pulka beladen habe, starte ich gegen 08:40 Uhr in den zweiten Tourentag. Geplant war heute bis Litlos zu laufen. Nach meiner Erfahrung gestern ist das jedoch völlig illusorisch. Irgendwo zwischen der Hütte Hellevassbu und Litlos wird mir die Kraft ausgehen…

Leicht ansteigend geht es entlang dem Fluss Bora nach Norden. Es fühlt sich an als hätte die Pulka über Nacht deutlich an Gewicht zu gelegt. Spätestens in Hellevassbu werde ich etwas von meinem Proviant abwerfen. Ich habe schon gestern gemerkt, dass ich es total übertrieben habe mit der Kalkulation. Später werde ich davon sprechen „overprepared“ zu sein. Sowohl die Cracker, die ich für Mittags eingepackt habe, als auch das Dessert für abends kann ich unmöglich auch noch essen. Beides werde ich für die gesamten 10 Tage in Hellevassbu lassen. Dort erfreut sich bestimmt jemand anderes daran.

Schlechte Sicht führt zu viel Peilarbeit mit dem GPS
Schlechte Sicht führt zu viel Peilarbeit mit dem GPS

Die Sicht ist deutlich schlechter geworden gegenüber dem gestrigen Freitag. Ich muss alle 200 m mit dem GPS peilen. Dabei trete ich in so manches „Loch“, das ich aufgrund des schlechten Kontrasts nicht sehe.

Der Schnee scheint etwas aufgefirnt zu haben, ohne jedoch zusammengefallen zu sein. Es ist wohl wirklich wärmer geworden. Diese Kombination wirkt wie ein Anker auf die Pulka. Selbst in der Ebene laufe ich mit Steigfellen um voran zu kommen.

Die Hütte Hellevassbu kommt in Sicht
Die Hütte Hellevassbu kommt in Sicht

Hellevassbu

Gegen 13:40 Uhr treffe ich an der Hütte Hellevassbu ein. An der Hütte zeigt das Thermometer +3°C. Mein Eindruck hat mich also nicht getäuscht. 5 Stunden habe ich die Pulka durch den Schnee gezogen und dabei gerade einmal 12 km zurückgelegt. Ich bin total am Ende. Auf der kurzen Abfahrt hinab zur Hütte droht mich die Pulka zu überholen. Einschlag! Zum Glück ist nichts passiert.

Angekommen - für heute lasse ich es hier gut sein!
Angekommen – für heute lasse ich es hier gut sein!

So schaffe ich es nie bis nach Finse, zumal ich unmöglich 10 Tage diesen Kraftakt ohne Ruhetag durchhalte. Ich brauche auch mal ein Tag bei dem es so richtig „rutscht“. Mit diesen Gedanken beschließe ich den heutigen Tourentag an der Hütte zu beenden. Jetzt noch einmal 2 Stunden den kommenden Anstieg hinauf zu wanken, um dann dort in ein nasses Zelt zu kriechen, würde den Grundstein dafür legen Morgen wieder „kein Fett auf der Kette zu haben“. Der gestrige Tag war einfach zu viel. Ich habe mich total verausgabt. Morgen werde ich versuchen bis nach Litlos zu kommen. Das ist bei diesen Bedingungen ambitioniert genug. Dazu werde ich alle Kraft brauchen und heute Mittag gilt es diese zu sammeln.

Ein warmer Ofen und ein Kaffee

So entzünde ich ein Feuer im Ofen der Hütte, die mit ihrem gepflegten Inneren auf mich wie ein Paradies wirkt. In der Küche stehen fünf große Edelstahleimer mit geschmolzenem Schnee. Auf dem Gasherd ist daher geschwind ein Kaffee zubereitet. Dazu kaue ich eine erste Tafel Schokolade einfach so am Stück hinunter.

Warm und trocken - ein Luxus der zu Hause selbstverständlich ist
Warm und trocken – ein Luxus der zu Hause selbstverständlich ist

An einem kleinen Sekretär schreibe ich in mein Notizbuch. Daneben steht die Tasse mit dampfendem Kaffee. Ich schaue aus dem Fenster und mache mir Gedanken was ich hier eigentlich tue.

Ja, habe ich denn den Verstand verloren?

Wofür den ganzen Aufwand? Reifenschleifen, Ausrüstung, Flüge, Züge, Busse,… nur um sich hier zu quälen. Es wirkt absurd auf mich. Ja, habe ich denn den Verstand verloren??

Das rechtfertigt die Strapazen!
Das rechtfertigt die Strapazen!

Langsam setzt sich draußen die Sonne durch und ich denke: „Ja, darum geht es! Nicht um die abartigen Anstrengungen, aber die sind einfach notwendig um an solche Orte zu gelangen!“ Eine tief verschneite Landschaft die harmlos wirkt, mit Ski und Pulka einem jedoch so richtig die Zähne zeigen kann.

Ein neuer Reiseplan muss her!

Ich nehme meinen Reiseplan aus dem Notizbuch und muss fast lachen als ich Entfernungen, Höhenmeter und Zeitansätze lese. Maschinenbauermäßig ausgetüftelt. Später wird ein Norweger zu mir sagen: „Ein Plan hält genau bis zum ersten Tourentag.“ Wie Recht er hat! Ich schreibe einen neuen Plan um mich daran fest zu halten. Morgen bis Litlos und in sieben weiteren Tagen bis Finse. Der Notausstieg an Tag 8 an der Dyranut Hütte entlang der Nationalstraße 7 bleibt erhalten. Für alle Fälle! Ja, so könnte es klappen. Wenn denn die Bedingungen mitspielen…

Ich sortiere sämtliches Dessert und Cracker aus meinem Proviant und drapiere es auf dem Tisch in der Küche mit einer Notiz „4free – Enjoy! nico“. Morgen wird die Pulka leichter sein.

4free - enjoy!
4free – enjoy!

Gegen 18:10 Uhr fängt es wieder an zu schneien. Sofort sind alle Zweifel, die ich mit dem neuen Reiseplan in die Ecke geschoben habe, wieder da. Ich esse zu Abend und höre Musik. Laut singe ich bei „Dieter Thomas Kuhn – Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“ mit. Bescheuert. Aber mich hört hier eh niemand.

...

Als ich in das Bett krieche dauert es nicht lange bis ich tief und fest schlafe. Morgen wird es besser werden. Bestimmt!

Audiotagebuch Tag 2

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