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Hardangervidda im Winter: Tag 5

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Wie jeden Abend auf meiner Tour habe ich den Höhenmesser meiner Armbanduhr für die Nacht auf Barometer umgestellt. Als ich gegen 4 Uhr morgens aufwache und die Displaybeleuchtung der Uhr aktiviere sehe ich, dass das Barometer im Begriff ist ins Bodenlose zu fallen. Meiner Erfahrung nach hat das Barometer immer Recht! Das gute Wetter ist vorbei, soviel steht fest, schon bevor ich das erste Mal aus dem Fenster schaue. Zu allem Überfluss ist das Bett immer noch irgendwie klamm. Die ganze Nacht hat nicht ausgereicht es mit meiner Körperwärme auf Betriebstemperatur zu bringen. Gegen 06:00 Uhr stehe ich auf. Diesmal leider nicht ganz so gut erholt wie in den letzten zwei Tagen.

Thomas und ich haben gestern Abend beschlossen heute bei Zeiten zu starten. Möglichst schon um 8 Uhr wollen wir auf den Brettern stehen. Die ersten 3 km der Tour werden wir noch gemeinsam laufen. Dann zweigt Thomas nach Osten in Richtung Rauhellern ab. Er muss am Freitag wieder im Büro sein. Ich werde hingegen weiter nach Norden in Richtung Bjoreidalshytta laufen.

Der weitere Ablauf der morgendlichen Routine ist bekannt: Ofen anfeuern, Wasserkessel auf den Herd stellen, Frühstück zubereiten, Essen. Draußen hängt der Himmel in den Kniekehlen. Die Sicht ist jedoch besser als ich nach dem Blick auf das Barometer zu hoffen gewagt hatte. Tatsächlich sind wir gegen 8 Uhr abmarschbereit. Es herrscht mäßiger Wind und leichter Schneefall. Ich suche gleich zu Beginn die Schneebrille heraus. Irgendwie habe ich den Verdacht da kommt noch mehr.

Kinderrutschschlitten und Sanitärrohre

Vor der Hütte entdecke ich die Ausrüstung der zwei Tourengeher, die gestern Abend, unmittelbar bevor ich mich für die Nacht zurückgezogen habe, angekommen sind. Ein Pole und ein Russe, die das gute Wetter genutzt haben um die lange Etappe von Kjeldebu nach Sandhaug zurück zu legen. Als Pulka nutzen beide Kinderrutschschlitten mit einem Zuggestänge aus Kunststoffsanitärrohren. Verrückt! Wir Deutsche brauchen immer das beste Material und die Jungs laufen einfach mit dem was sie haben und machen trotzdem die gleichen Touren wie wir.

Wer weiß was die für ein Zelt haben.

Als Thomas die Schlitten sieht tritt er zurück in die Hütte. Ein paar Minuten später kommt er wieder heraus und meint zu mir er hätte den beiden empfohlen den heutigen Tag in Sandhaug abzuwettern oder maximal bis Besso zu laufen. Mit einem Augenzwinkern meint er in Hinblick auf die Schlitten: „Wer weiß was die für ein Zelt haben.“ Ehrlich gesagt finde ich das Wetter gar nicht so schlimm. Weiß Thomas vielleicht schon wieder mehr?

Bevor wir starten machen wir noch ein gemeinsames Selfie als Erinnerung an die 1,5 Tourentage die wir zusammen unterwegs waren.

Ein Selfie mit Thomas zum Abschied
Ein Selfie mit Thomas zum Abschied

Wieder alleine unterwegs…

Dank kräftigem Rückenwind kommen wir sehr gut voran. Ruck zuck haben wir die 3 km bis zu Gabelung, an der sich unsere Wege trennen, zurückgelegt. Wir wünschen uns alles Gute und schon wächst die Distanz zwischen uns. Ich bin wieder alleine unterwegs…

Thomas auf dem Weg nach Rauhellern
Thomas auf dem Weg nach Rauhellern

Ab Sandhaug ist die Route bis Finse durch Birkenzweige, so genannte Kviste, in kurzen Abständen markiert. Heute kommt mir das sehr gelegen, da das Wetter zunehmend schlechter wird. Der Wind nimmt stündlich an Stärke zu. Ein Glück, dass ich ihn immer im Rücken querab habe. So schiebt er mich bei jedem Schritt 20-25 cm voran und ich muss in der verblasenen Ski-Doo Spur, die den Kviste folgt, ab und an ganz schön balancieren um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Heute sind die Ski mal schneller als ich. 😉

Die stündlichen Pausen sind bei diesen Bedingungen sehr kurz und beschränken sich auf ein kurzes Stehenbleiben mit dem Rücken zum Wind, 1-2 Hände voll Nussmix und einem großen Schluck warmen Wassers aus der Thermoskanne, die ich immer am Zuggeschirr trage. Schon geht es weiter, sonst drohe ich auszukühlen.

Dank der "Kviste" ist trotz der schlechten Sicht die Orientierung problemlos
Dank der „Kviste“ ist trotz der schlechten Sicht die Orientierung problemlos

Im Sturm!

Der Wind streift mich im Gesicht und schnell merke ich wie Wangenknochen und Nase Alarmsignale melden. Ich drapiere einen Thermobuff so über mein Gesicht, dass er zwar durch die Schneebrille gehalten wird aber dennoch die Brille nicht zu sehr durch die Atemluft anläuft. Funktioniert mäßig, aber besser als bis heute Abend Erfrierungen zu riskieren.

Bei dem starken Wind ist voller Gesichtsschutz angesagt
Bei dem starken Wind ist voller Gesichtsschutz angesagt

So laufe ich Stunde um Stunde weiter. Laufen, 5 Minuten Pause, Laufen… Irgendwann taucht ein Wegweiser in Richtung Hadlaskard auf. Aus dieser Richtung wäre ich gekommen wenn ich in Litlos meine ursprünglich geplante Route nicht verlassen hätte um Thomas nach Sandhaug zu folgen. Plötzlich spukt das Whiteout zwei Norweger vor mir aus. Es ist nicht zu übersehen, dass sie ganz schöne Mühe haben sich gegen den inzwischen sturmartigen Wind in Richtung Sandhaug vorwärts zu kämpfen. Einer von ihnen hat nicht einmal eine Brille auf. Sein Gesicht und seine Augen sind knallrot. Das sieht alles andere als gesund aus. Bei unserem kurzen Gebrüll gegen das Wettergetöse ziehe ich nicht einmal meinen Buff aus dem Gesicht, so unangenehm ist inzwischen der Wind.

Ein Kampf um 70 Höhenmeter

Von ihnen erfahre ich, dass sich das Wetter morgen Nachmittag wieder beruhigen soll. Beide sind heute an der Dyranut Hütte gestartet. Die Bjoreidalshytta sei wohl geschlossen. Mmhh… das heißt für mich nochmal 4 km weiter bis zur Dyranut Hütte. Dabei wollte ich heute doch nicht allzu lange machen. So langsam merke ich nämlich, dass ich seit 5 Tagen ohne Unterbrechung die Pulka über die Hochebene ziehe. Das Wetter tut sein Übriges. Aber es hilft nichts, es gibt keine Alternative. Daran bei diesem Wetter das Zelt aufzustellen denke ich erst gar nicht, so absurd erscheint mir das. Sobald ich das Zelt aus dem Packsack ziehen würde, hätte ich mal ein Akto gehabt! Irgendwer würde die Fetzen im Sommer um einen Felsen gewickelt finden und sich aufregen, dass jemand seinen Müll nicht mitgenommen hat. Das kann ich unmöglich verantworten. Also weiter!

Ab und an begegnen mir Markierungen der Sommerwege über die Vidda
Ab und an begegnen mir Markierungen der Sommerwege über die Vidda

Ach was,… ist ja nicht mehr weit!

Aus dem Bjoreidal geht es gerade einmal 70 Höhenmeter hinauf zur Dyranut Hütte, die direkt an der Nationalstraße 7 liegt. Durch den starken Wind wechseln sich wieder einmal Schneeverwehungen und Eisplatten ab. Ich komme nur schwerlich voran. Immer wieder rutsche ich mit den Ski auf den Eisplatten ab. Ich überlege die Steigfelle aufzuziehen: „Ach was,… ist ja nicht mehr weit!“

Schier endlos „pickel“ ich mich auf den Skikanten den Hang hinauf. Ich beginne in immer kürzeren Abständen auf das GPS-Gerät zu schauen, auf dem ich die direkte Peilung zur Dyranut Hütte eingestellt habe. Die 70 Höhenmeter werden zu einem wahren Kraftakt. Ich habe das Gefühl nicht vom Fleck zu kommen. Irgendwann neigt sich das Gelände wieder zurück, der Abstand der Höhenlinien auf der digitalen Karte nimmt zu und die Entfernung zur Hütte auf dem GPS Display ab.

Fast da!

Da erkenne ich schemenhaft vor mir das Dach einer Hütte. Ist das nun die Dyranut Hütte in der ich mich endlich vor diesem Sturm verstecken kann? Immer wieder bleibt sie für einige Zeit hinter dem durch die Luft gewirbelten Schnee verschwunden. Weiter darauf zu!

Schemenhaft erkenne ich eine Hütte
Schemenhaft erkenne ich eine Hütte

Ich bemerke, dass ich glatt an der Dyranut Hütte vorbei gelaufen bin. Also retour,… gegen den Wind. Mir bläst es die zugezogene Kapuze vom Kopf. Zum Glück sind es nur 200 m die ich mich verfranzt habe. Danach wirkt mein Kopf aber wie vom Schnee sandgestrahlt. Mit dem Wind von vorne wäre es für mich unmöglich gewesen heute bis hier her zu kommen.

Im Sturm unweit der Dyranut Hütte
Im Sturm unweit der Dyranut Hütte

Mein Versteck in der Dyranut Hütte

Nach 23 km öffne ich die Hüttentür und bekomme sie direkt vom Wind aus der Hand gerissen. Krachend fährt sie in den Anschlag. So wie die Tür aussieht waren das nicht das erste und wohl auch nicht das letzte Mal. Mir schlägt die Wärme eines Ofens entgegen. Endlich kann ich mir den Buff aus dem Gesicht ziehen. Meine Nase und meine Wangen glühen regelrecht. Dass ich mir mein Gesicht eincremen sollte erscheint mir gerade unheimlich wichtig! Ich nehme den Besen aus dem Vorraum und kehre dürftig meine Schuhe ab. Anschließend spähe ich im Hauptraum der Hütte um eine Ecke. Ich winke jemanden, der für mich aussieht wie Teil des Hüttenteams. Ich buche für 500 NOK ein Doppelzimmer als Einzelbelegung. Obwohl der Preis recht zapfig ist, erscheint er mir nach der heutigen Etappe wie geschenkt. Hinzu nehme ich noch das Abendessen und Frühstück mit Kaffee so viel ich trinken kann. Das wird ein Fest! Da können die unmöglich ein Geschäft an mir machen!

Skandinavischer Charme, zwei Betten und ein blubbernder Kanonenofen in der Zimmerecke. Geil!

Da mein Zimmer noch nicht bereit ist, wärme ich mich bei einem Kaffee und der obligatorischen Tafel Schokolade im Kaminzimmer der Hütte auf. Dort komme ich mit einem deutschen Pärchen ins Gespräch. Sie sind für eine Woche zum Kiten in der Dyranut Hütte. Etwas ungläubig gucken sie drein, als sie erfahren, dass ich den halben Tag bei diesem Wetter meine Pulka über die Vidda gezerrt habe. Ich verschicke ein erstes Lebenszeichen per Handy. Dann ist auch schon mein Zimmer bezugsfertig. Skandinavischer Charme, zwei Betten und ein blubbernder Kanonenofen in der Zimmerecke. Geil!

Skandinavischer Charm in meinem Zimmer
Skandinavischer Charm in meinem Zimmer

Ich werde darauf hingewiesen, dass ich regelmäßig Holz nachlegen soll, da das Feuer schnell niederbrennt. Ja, schnell ist relativ! Aber kein Problem, eines meiner Hobbys ist Holz zu verbrennen! Also stopfe ich alle 20 Minuten den Ofen mit Holz voll, das die Hüttenbesatzung unermüdlich in Säcken auf den Flur schleppt. Durch den starken Wind um die Hütte hört sich das Ofenrohr an wie eine Turbine. Entsprechend saugt der Ofen das Holz gierig in sich auf. Auf einer kleinen Wäscheleine darüber trockne ich meine Handschuhe, Mütze und Buffs endlich wieder richtig durch. Auch eine Dusche ist vor dem Abendessen drin. Absoluter Luxus! Anschließend führe ich nach einem Tag Auszeit ein extralanges Audiotagebuch und mache ein paar Notizen in mein Tourenbuch.

Audiotagebuch Tag 5

Als ich etwa eine halbe Stunde vor dem Abendessen in den Hauptraum der Hütte zurückkehre ist der Sturm immer noch in vollem Gange. Ich setze mich an einen leeren Tisch direkt an das Fenster und schaue hinaus. Auf der Nationalstraße 7 fährt in abwechselnder Richtung alle 30 Minuten ein LKW-Konvoi vorbei. Die Spitze führt ein Räumfahrzeug an. Dahinter fahren die LKWs mit ca. 30 km/h in der Mitte der Straße mit eingeschalteten Warnblickern. Damit kein LKW verloren geht wird das Ende des Konvois wieder durch ein Räumfahrzeug gebildet. Zwischen den Konvois taucht immer wieder ein großer Radlader, mit statt Schaufel montierter Schneefräse, auf. Unter großem Getöse schleudert er die sich bildenden Schneeverwehungen in hohem Bogen neben die Straße. So martialisches Gerät wirkt nicht nur auf mich hoch interessant und immer wieder kann ich Männer beobachten, die zu einem der Fenster gehen um den Radlader mit dem Handy zu fotografieren. Die anwesenden Frauen interessiert das Teil hingegen nicht die Bohne. 😀 Ich begnüge mich einfach nur mit dem Anblick. Leben im Jetzt! Zwischendurch verschwinde ich noch einmal kurz auf meinem Zimmer,… den Ofen wieder mit Holz füllen. 😉

Das Abendessen ist deftig und lecker. Erst eine dicke Suppe und anschließend Schweinebraten mit Kartoffelbrei und Rote Beete. Zufrieden und satt gehe ich an diesem Abend zurück auf mein Zimmer. Morgen werde ich es ganz ruhig angehen. Da sich erst am Nachmittag das Wetter beruhigen soll, werde ich den Vormittag mit Frühstücken und Gammeln verbringen. Meine Ambitionen für den Mittag sind auch recht überschaubar. Nur 8 km werde ich bis zur nächsten Hütte Kjeldebu laufen. Gute Nacht!

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