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Hardangervidda im Winter: Tag 3

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Ab und an wache ich auf um gleich wieder weg zu dämmern. Die Zeiträume dazwischen entfallen mir völlig, so erschlagen ist mein Schlaf. Um 00:30 Uhr plötzlich die Lichtkegel von Stirnlampen in der Eingangstür der Hütte. Ich denke mir, dass werden die drei Norweger sein, die ich seit meinem Start in Haukeliseter erwarte. Sind sie dort doch 20 Minuten nach mir in meiner Spur los gelaufen und waren nach dem ersten Anstieg nie mehr gesehen.

Ich streife mir geschwind Hose und Daunenjacke über um sie zu begrüßen, wobei meine Pulka vor der Hütte ohne Frage keine Überraschung zulassen sollte, dass ein Bett bereits mit einem Tourengeher belegt ist.

Statt dreier Norweger treffe ich auf zwei Norwegerinnen, die nach 16 Stunden auf Ski am Ende ihrer Kräfte sind. Ich merke schnell, dass sie nur Interesse an dem Inhalt einer Gulaschdose aus dem Hüttenbestand und einem Bett haben. Daher ziehe mich ebenso schnell wieder zurück wie ich aufgetaucht bin. Erst am kommenden Morgen werde ich das Gespräch suchen.

Sonne, Sonne, SONNE!

Gegen 07:00 Uhr stehe ich nach 11 Stunden Schlaf auf. Meine ersten Schritte führen mich zum Ofen in dem ich ein Feuer entfache. Ich fühle mich gut. Gestern „halblang“ zu machen war definitiv die richtige Entscheidung. Mein nächster Blick gilt dem Fenster. Draußen ist keine Wolke am Himmel, die Sonne ist gerade im Begriff über die ersten Hügelketten zu steigen. Ich glaube das wird ein richtig großartiger Tag! Wer hätte das nach der gestrigen Waschküche gedacht?

Während ich auf siedendes Kaffeewasser warte taucht die erste der beiden Norwegerinnen in der Küchentür auf. Nun erfahre ich mehr über die Umstände, die ihr gestriges spätes Eintreffen verschuldeten. Sie waren bei Zeiten in Sandhaug gestartet und haben sozusagen die Hütte in Litlos übersprungen. Laut den bekanntlich sehr optimistischen Kartenangaben haben sie dabei 37 km zurückgelegt. Die letzten Stunden bei Dunkelheit mit den Stirnlampen auf den Kompass gerichtet. Unglaublich,… und um 07:20 Uhr stehen sie bereits wieder so gut wie abmarschbereit in der Küche. Um 16 Uhr wollen sie den Bus in Haukeliseter erreichen. Uff,… das nenne ich sportlich. Sie sind jedoch ohne schweres Gepäck, sprich Pulka unterwegs und scheinen etwas von der Sache zu verstehen. Letztes Jahr haben sie gemeinsam mit Ski Grönland von West nach Ost durchquert. 650 km in 30 Tagen. Danach kann man solche Gewaltmärsche wohl einfach besser ab…

Es wird flacher werden…

Sie berichten mir, dass nach dem Anstieg, der unmittelbar nach der Hütte Litlos auf mich wartet, das Gelände deutlich flacher wird. Meine Augen strahlen. Diese Worte entfachen neue Motivation in mir und lassen meinen gestern neu aufgestellten Reiseplan wieder in eine umsetzbare Entfernung rücken. Nun kann ich es kaum noch erwarten bei diesem großartigen Wetter in Richtung Litlos zu starten. Nachdem die Distanz gestern bei einsetzendem Schneefall sich noch unbezwingbar zeigte, erscheint sie nun wie ein Katzensprung.

Auf geht’s nach Litlos

Gegen 08:30 Uhr ist die Pulka gepackt, die Ski an die Füße geschnallt und die Skispitzen in Richtung Litlos gedreht. Den ersten Anstieg gehe ich noch mit Steigfellen.

Blick zurück zur Hütte Hellevassbu, die heute Nacht so gut zu mir war
Blick zurück zur Hütte Hellevassbu, die heute Nacht so gut zu mir war

Während ich die ersten Höhenmeter hinaufsteige sehe ich noch deutlich die Spuren der zwei Norwegerinnen im Schnee. Es scheint so als hätten sie in der Dunkelheit Probleme gehabt die unbeleuchtete Hütte zu finden. Eine grausige Vorstellung… nach 16 Stunden auf den Beinen!

Noch mit Steigfellen entlang der Spur der zwei Norwegerinnen
Noch mit Steigfellen entlang der Spur der zwei Norwegerinnen

Wie die Ski laufen! Annähernd widerstandslos gleiten sie durch den Pulverschnee.

Nach dem ersten Anstieg lege ich die Felle ab. Ab jetzt werde ich mit geschickter Spurwahl versuchen ohne sie bis Litlos zu gelangen. Wie die Ski laufen! Annähernd widerstandslos gleiten sie durch den Pulverschnee. Sobald man einen Fuß entlastet hebt die Vorspannung des Skis die Steigzone aus dem Schnee. Während des Schrittes gleitet so der Ski ausschließlich auf seiner Gleitzone. Jetzt merkt man erst einmal wie groß der Widerstand der Pulka ist. Aber heute wirkt sie deutlich leichter! Kein Wunder. Ich habe über 1,5 kg Proviant in der Hütte zurück gelassen.

Ein richtiges Winterwonderlang nach der gestrigen Waschküche
Ein richtiges Winterwonderland nach der gestrigen Waschküche

Heute „rutscht’s“!

Durch eine geschickte Spurwahl, begünstigt durch die gute Sicht, komme ich in dem kommenden Gelände ohne Steigfelle gut zurecht. Auch hier ist die Lernkurve extrem steil und man vermag schnell voraus zu sagen in welcher Schneeart der Ski wie gut stollt um Vortrieb zu ermöglichen.

Zwar pfeift der Wind doch recht kalt, aber das kann meine Motivation heute nicht zu drücken. Die Sonne scheint! Was soll mich da bremsen?

Meine Spur, die Pulka und jede Menge Pulverschnee
Meine Spur, die Pulka und jede Menge Pulverschnee

Lawine?

Plötzlich erspähe ich linker Hand an einem sanften Hang etwas das auf mich erst wie ein abgegangenes Schneebrett, sprich eine Lawine wirkt. Ungläubig laufe ich weiter darauf zu. Die Hangneigung ist für ein Schneebrett, dazu noch eine Selbstauslösung, doch viel zu flach! Beim Näherkommen entdecke ich auch rechter Hand solche Anzeichen. Als sich beide Bereiche in einer Senke vor mir verbinden wird mir klar mit was ich es hier zu tun habe, den Spuren einer Rentierherde. Das müssen tausende Tiere gewesen sein!

Der Hårteigen kommt in Sicht

Auch der Hårteigen kommt das erste Mal in Sicht! Bereits 2013 hatte ich im Sommer die Chance auf seinem Gipfel zu stehen und auch auf dieser Wintertour hatte ich es mir fest ins Programm geschrieben. Aus diesem Grund sind Steigeisen und Eispickel in der Pulka verschnürt. Ob es aufgrund meines langsamen Vorankommens und des vielen Triebschnees auch wirklich klappen sollte ist mehr als fraglich.

Der Hårteigen kommt erstmals auf meiner Wintertour in Sicht
Der Hårteigen kommt erstmals auf meiner Wintertour in Sicht

Mittagspause und ein Ausrüstungs-Selfie

Kurz vor der Abfahrt hinunter zum See Kvennsjøn mache ich eine ausgiebige Mittagspause. Ich schnalle die Ski ab und entlaste für einige Minuten einfach mal die Füße. Aus meiner heutigen Provianttüte schnappe ich mir ein Päckchen Beef Jerky. Dazu gibt es warmen Tee. An meinem Rastplatz ist es dazu fast windstill. Ich genieße das Panorama und das bombige Wetter gute 25-30 Minuten bevor ich mich wieder auf den Weg mache. Mensch! So einen Tag habe ich nach den letzten 2 Tagen aber wirklich gebraucht! Bevor ich weiterlaufe mache ich ein Selfie mit der gesamten Ausrüstung. Wer weiß wann das Wetter wieder so gut sein wird und ich die Gelegenheit dazu haben werde. Was man auf SD-Karte hat, hat man. 😉

Ein Selfie mit Pulka, für alle Fälle...
Ein Selfie mit Pulka, für alle Fälle…

Noch 6 km bis zur Hütte von Litlos

Die anschließende Abfahrt mache ich in bewährter „Schrägabfahrtsmanier“. D.h. mit kontrolliertem Tempo, teilweise im Pflug diagonal den Hang kreuzen, dann vorsichtig drehen und wieder retour. So komme ich sturzfrei und relativ kraftsparend auf den topfebenen See. Ich peile geschwind die Hütte um nicht aus Versehen auf einen Felsen zuzulaufen und so noch Bonusmeter zu sammeln. Anschließend geht es kerzengerade in Richtung Hütte. 6 km noch bis ich vor der Tür stehen werde.

Auf der Mitte des Sees wird mir die Isolation, in die man sich hier zu dieser Jahreszeit begibt, so richtig begreiflich. Und ich stehe total drauf!

Hier auf dem See bin ich völlig alleine! Soweit das Auge reicht kann ich niemanden entdecken. Zwar sehe ich die ein oder andere Hütte, die an den Ufern des Kvennsjøn stehen, aber diese scheinen völlig verlassen. Auf der Mitte des Sees wird mir die Isolation, in die man sich hier zu dieser Jahreszeit begibt, so richtig begreiflich. Und ich stehe total drauf! Waren doch die letzten beiden Tage wolkenverhangen und die Sicht extrem eingeschränkt. Heute wird die Weite der Hardangervidda greifbar.

80% Kopfsache

Immer wieder bleibe ich stehen um meine Spur hinter mir zu betrachten. Ich kann mich gerade kaum an den vier Rillen, die die Unterseite der Pulka in den Pulverschnee drückt, satt sehen. Wie anders heute alles ist im Vergleich zu gestern! Mir war bereits vor der Reise bewusst, dass sie zwar körperlich anstrengend wird, aber 80% der Leistung im Kopf erbracht wird. Körperliche Anstrengung, Einöde, Kälte und soziale Isolation. Das alles führt zu einer großen mentalen Herausforderung, der ich mich ganz bewusst stellen wollte.

Unmittelbar an den Kvennsjøn schließt sich der See Litlosvatnet an, den es auch noch zu überqueren gilt. Hier wechsele ich wie auf der Karte angegeben direkt vom See auf das Ufer rechter Hand. Leider stellt sich das als nicht so schlaue Entscheidung heraus. Endlos auf und ab, aber immer nur wenige Meter, suche ich mir zwischen Felsen hindurch einen Weg in Richtung Hütte. 800 m Luftlinie zeigt das GPS an. Die Entfernung scheint unendlich langsam abzunehmen. Soll es so kurz vor dem Ziel noch einmal richtig anstrengend werden? Verrückt was es ausmacht, wenn die Hütte nicht mehr direkt vor einem liegt und wenn man die Pulka wieder den Hang hinaufzerren muss, nur um wenige Minuten später die hart erarbeiteten Höhenmeter wieder auf der anderen Seite hinunter zu rutschen.

Angekommen in Litlos

Ein letzter Buckel und die Hütten von Litlos tauchen auf. Der DNT Komplex besteht aus mehreren Hütten. Natürlich versuche ich erst in die Falsche hinein zu kommen. Also Ski und Pulka wieder anschnallen und zur nächsten Hütte weiterrutschen. Hier habe ich mehr Erfolg und betrete gegen 16:00 Uhr nach knapp 21 km mein Quartier für die kommende Nacht.

Die Hütten von Litlos - linker Hand ist der DNT Komplex zu erkennen
Die Hütten von Litlos – linker Hand ist der DNT Komplex zu erkennen

Routiniert ist alles was ich bis morgen früh brauche der Pulka entnommen und in die Stube geräumt. Der nächste Schritt ist das Anfeuern des Ofens und die Suche nach Wasser. Leider ist die Hütte nicht ganz so sauber und top ausgestattet wie die in Hellevassbu. Egal, ich mache das Beste daraus. Das Wichtigste ist mit Gasherd, Ofen und Holz ja vorhanden. Ich schnappe mir die zwei größten Töpfe und meine Schneeschaufel. An einem unberührten Platz fülle ich die Töpfe mit Schnee. Ein paar kräftige Schläge mit dem Schaufelblatt auf die überquellenden Töpfe sollten für eine vernünftige Ausbeute sorgen. Man wundert sich immer wieder wie wenig Wasser aus einem Topf voll Schnee erschmolzen wird.

Ich bereite den inzwischen obligatorischen Kaffee zu. Rippchen um Rippchen der täglichen Tafel Vollmilchschokolade wandern dazu in den Mund. Anschließend berichte ich vom Tag in meinem Audiotagebuch. Heute war ein guter Tag!

Audiotagebuch Tag 3

Thomas auf dem Weg nach Sandhaug

Gegen 17 Uhr sehe ich im Augenwinkel durch das Fenster eine weitere Pulka. Ich bin heute also doch nicht alleine! Sofort gehe ich an die Hüttentür. Draußen ein weiterer Soloreisender, Thomas aus Norwegen. Ich merke, dass ich Thomas sofort mit Fragen über das Wetter, dem Woher und Wohin überfalle. Dabei hat er noch die Pulka am Zuggeschirr eingehängt. Ich breche in meinem Redeschwall ab und verschwinde mit den Worten „Pack erstmal aus…“ wieder in der Hütte. Dort stelle ich den Wasserkessel auf den Herd und bereite einen Tasse mit Kaffee aus meinem abgemessenen Bestand vor.

Wenige Minuten später taucht Thomas in der Stube auf. Ich zeige auf den Kaffee, den er dankbar annimmt. Nun erfahre ich mehr Details. Er ist gestern in Haukeliseter gestartet und hat 5 km vor der Hütte Hellevassbu gecampt. Das erklärt auch warum er eine Stunde nach mir in Litlos eintraf. Er berichtet, dass er kurz in der Hütte Hellevassbu war um sich umzusehen. Anschließend ist er in meiner Spur weiter in Richtung Litlos gelaufen, was ihm nach seiner Aussage sehr den Tag vereinfachte. Während er so redet greift er in eine Tasche und zieht eine meiner Packungen Haribo Tropifrutti heraus, die ich in Hellevassbu gelassen hatte, und bietet sie mir an. Ich bedanke mich, dass er mir die Packung hinterher getragen hat, aber lehne ab. 😀

Thomas wird morgen nach Sandhaug laufen. Sein Ziel ist die Hütte von Rauhellern im Osten der Vidda. Sandhaug,… da war doch was. Richtig, dort waren die zwei Norwegerinnen, die heute in aller Früh in Hellevassbu aufgeschlagen waren, am Vortag losgelaufen. Ich krame erneut die Karte hervor. Sandhaug,… mmmhh… damit würde ich ein Stück der Tour verkürzen, da ich die Hütte von Hadlaskard auslassen könnte. Ich ertappe mich bei dem Gedanken mir dadurch die Strapazen der Tour etwas zu vermindern. Die Besteigung des Hårteigens habe ich aufgrund des unbeständigen Wetters eh schon ad acta gelegt. Somit ist es auch nicht unbedingt notwendig über Hadlaskard zu laufen. Es ist einfach zu verlockend einen Tag nicht den gesamten Weg spuren zu müssen.

Kein Problem! Ich bin heute den ganzen Tag in Deiner Spur gelaufen, Morgen läufst Du den ganzen Tag in meiner.

Mit diesen Worten frage ich Thomas, der eigentlich Solo unterwegs sein wollte, ob es ihm Recht ist wenn ich ihn Morgen nach Sandhaug begleite. „Kein Problem! Ich bin heute den ganzen Tag in Deiner Spur gelaufen, Morgen läufst Du den ganzen Tag in meiner.“, höre ich als Antwort. Perfekt! Also wird der Tourplan wieder umgeworfen. Morgen nach Sandhaug und anschließend wieder in Richtung Norden nach Finse. Genau genommen flunkere ich damit auch nicht bei meinem Vorhaben die Hardangervidda von Haukeliseter nach Finse zu überqueren. Ich gestalte den Weg nur etwas flexibler. 😉

Thomas ist mir sehr sympathisch und wir finden so einige Gesprächsthemen. Gegen 20:15 Uhr treibt es mich jedoch bereits ins Bett. Morgen ist ein neuer Tag, und jetzt bin ich mir sicher. Das mit der Überquerung der Vidda,… das wird klappen!

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