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Hardangervidda im Winter: Tag 6

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Ein neuer Tag auf der Vidda! Das heißt alle Pläne werden wieder grundsätzlich über den Haufen geworfen! Ohne Hast und schon gar nicht mit Wecker werde ich in meinem Zimmer in der Dyranut Fjellstova wach. Gestern habe ich mich vor dem wütenden Sturm hier versteckt. Die Nase, die als eines der wenigen Körperteile aus dem Bettzeug heraus schaut, meldet sofort ein eiskaltes Zimmer. Nach dem ich mich gestern im Bett umgedreht habe und folglich kein Holz mehr in die gierige Ofenklappe schieben konnte, hat es nicht lange gedauert bis der Ofen auf ein kläglichen Rest Asche abgebrannt ist. Sofort nach dem die letzte Flamme erloschen war, ist die Temperatur im Zimmer abgestürzt wie auch an Tag 5 das Barometer.

Da die Bettdecke leider auch nicht zu den längsten auf den Markt erhältlichen Modellen gehört und ich mit meinen 1,90 m auf einmal schwerlich darunter eine Position finde, bei der mich die Kälte im Zimmer nicht stört, entscheide ich aufzustehen und zu frühstücken. Kaffee! Beim Frühstück treffe ich auf Nora aus Bonn. Sie ist heute Nacht nach einer 14 stündigen Odyssee vom Fährhafen nahe Oslo an der Dyranut eingetroffen. Ihr deutsches Navi hat sie ständig über Pässe mit Wintersperren schicken wollen, was zu reichlich Umwegen führte. Sie möchte mit Ihrer Hündin, Tourenski, Zelt und Pulka südlich der Nationalstraße 7 bis zu 2 Wochen über die Vidda ziehen. Als ich höre welche Tagesleistungen ihr vorschweben, fühle ich mich an meinen eigenen Optimismus vor Tourbeginn erinnert. Ich versuche sie etwas zu bremsen, ohne ihr Angst machen zu wollen. Sie wird ihre Erfahrungen machen, genauso wie ich das auch getan habe. Da bin ich mir sicher.

Wetterwechsel der feinsten Sorte

Der Blick aus dem Fenster lässt mich staunen. Mal wieder ein Wetterwechsel von der feinsten Sorte. Draußen scheint die Sonne und kaum eine Wolke ist am Himmel. Das sollte doch erst heute Nachmittag der Fall sein?! Ich lasse mich nicht unnötig aus der Ruhe bringen und schlage erst einmal beim Frühstück so richtig zu. Brötchen, Käse, Müsli und ganz wichtig Waffeln. Ungefähr in dieser Reihenfolge arbeite ich mich durch das Buffet und kippe dazu drei Kaffee hinunter.

Ja, astrein! Auf Richtung Finse!

Anschließend erkundige ich mich beim Hüttenteam nach dem Wetter. Dort wird mir das Notebook mit der Wettervorhersage entgegen gedreht. Heute und Morgen windstille, Sonne, bestes Wetter! „Ja, astrein! Auf Richtung Finse!“, denke ich mir da!

Dyranut Fjellstova am Morgen nach dem Sturm
Dyranut Fjellstova am Morgen nach dem Sturm

Meine Sachen sind schnell gepackt und bald darauf stehe ich vor der Hütte. Im Schuppen, in dem auch meine Pulka steht, ist schon Hochbetrieb. Die Kiteverrückten kramen ihre Ausrüstung heraus. Keine Ahnung was sie damit heute wollen, bei dem lauen Lüftchen. Auch ich ziehe meine Pulka durch den Türrahmen. Draußen wird mir bewusst wieviel Schnee sich in ihr gestern gesammelt hat. Durch jede kleinste Ritze des Verdecks hat der Wind den Schnee wie Staub hinein gedrückt. Ich räume die gesamte Pulka aus um den Schnee los zu werden. Bei der heutigen Sonne ist sonst heute Mittag alles nass und morgenfrüh in der Pulka festgefroren. Zeitgleich macht sich auch Nora fertig und nach einer kurzen Starthilfe beim Aufbau ihrer Pulkadeichsel verabschiedet sie sich und zieht auf dem Weg, den ich gestern gekommen bin, davon. Sie möchte heute bis Hadlaskard. Optimistisch, aber bei diesem Wetter kann man auch super Zelten.

Nora verschwindet in Richtung Süden während ich mich Richtung Norden halte
Nora verschwindet in Richtung Süden während ich mich Richtung Norden halte

Ein neuer Plan!

Genau! Zelten! Mein spontaner Plan sagt nämlich, dass ich heute über die Hütte Kjeldebu hinaus laufe und dann gegen 15:30 Uhr nach einem Zeltplatz suche. Bei diesem super Wetter und der Aussicht, dass es Morgen noch einmal so gut werden soll, möchte ich die letzte Nacht meiner Tour noch einmal in meiner „Dackelgarage“ verbringen. Morgen werde ich so aller Voraussicht nach Finse erreichen.

Nur wenige Meter nachdem ich gestartet bin erlebe ich die kläglichen Kiteversuche meiner gestrigen Mitbewohner. So oder so werde ich das wohl auch mal irgendwann probieren müssen!

Bis Kjeldebu komme ich wirklich sehr gut voran. Ich bin regelrecht euphorisch! Das Gelände ist recht flach und die Hütte liegt in einem Tal, so dass ich auch ein beachtliches Wegstück bergab gehe.

Ich laufe das erste Mal mit Musik auf den Ohren und singe teilweise laut mit, bis ich drohe außer Atem zu kommen. Das Tourende ist nun zum Greifen nahe und dann dieses Wetter! Da ich kein explizites Ziel für den heutigen Tag habe fühle ich mich, anders als gestern, absolut nicht getrieben. Wenn nur jeder Tourentag so sein könnte! Aber vermutlich macht es gerade auch das aus. Es gibt gute aber auch eben weniger gute Tage. Und die Guten werden durch die Schlechten nur noch besser! 😀

Nicht nur die Sonne lacht bei diesem Wetter! :)
Nicht nur die Sonne lacht bei diesem Wetter! 🙂

Weg mit dem Ballast in Kjeldebu

In Kjeldebu angelangt suche ich sämtliches Essen, das ich ab nun nicht mehr brauche, aus der Pulka und lege es mit einer Notiz in die Selbstversorgerhütte. Anschließend muss ich das Tal, in dem die Hütte liegt, wieder heraus. Wie so oft bei Anstiegen wechseln sich Schneeverwehungen und Eisplatten ab. Dazu ist es völlig windstill und die Sonne brennt was das Zeug hält. Ich schwitze wie noch nicht zuvor auf der gesamten Tour. Aber irgendwann ist auch dieser Anstieg geschafft.

Die Hütten von Kjeldebu sind erreicht
Die Hütten von Kjeldebu sind erreicht

Linker Hand begleitet mich heute den gesamten Tag der Hardangerjøkulen. Ihm möchte ich, sobald ich in Finse angekommen bin, auch noch einen Besuch abstatten.

Den ganzen Tag begleitet mich heute der Hardangerjøkulen
Den ganzen Tag begleitet mich heute der Hardangerjøkulen

Entlang des Langavatnet geht es gemächlich hinauf. Ich mache an einer leicht erhöhten Stelle eine längere Pause bei der ich meine Jacke zum Trocknen über meine Skistöcke hänge. Für mich gibt es Beef Jerky, Nussmix und warmen Tee. Dazu ein Panorama was unbezahlbar ist. Ich bin so beeindruckt, dass ich nicht an meine Kamera denke und so nehme ich diese Erfahrung nur in meiner Erinnerung mit.

Bevor die Route eine Schleife in Richtung Finnsbergvatnet nach Osten schlägt treffe ich auf eine Gruppe Norweger auf ihrem Weg nach Kjeldebu. Unter ihnen ist ein alter Haudegen der mich direkt auf Norwegisch volllabert. Ich erkläre Ihm auf Schwedisch, dass ich Deutsch, Englisch und eben auch ein paar Worte Schwedisch, aber kein Norwegisch spreche. Das hindert ihn nicht daran weiter auf mich einzureden. Ich verstehe so viel, dass er sich nach dem Woher, Wohin und den Wegmarkierungen erkundigen möchte. Ich kann auf Schwedisch die gewünschten Informationen verständlich genug vermitteln. Er ist happy.

Wie die Hühner auf der Stange
Wie die Hühner auf der Stange

Haaaaa!! Patroner! Patroner!

Einer seiner Begleiter informiert sich bei mir auf Englisch über meine Ausrüstung. „Die Pulka, ist die selbst gebaut?“, „Ja!“, „Wo hast Du das Zuggeschirr her? Diese Art habe ich noch nie gesehen.“, „Militärbedarf, da kann man überall Taschen dran machen, z. B. für Magazine.“ Da fängt der alte Haudegen laut an zu lachen und schaut in die Runde, während er gleichzeitig auf mich zeigt: „Haaaaa!! Patroner! Patroner!“ Dazu muss man wissen, dass Norweger absolut jagdverrückt sind und quasi bei jedem Gespräch früher oder später über die Jagd und Waffen gesprochen wird. Okay, für mich als Pappscheibenschießer kein wirkliches Problem. Auf jeden Fall freue ich mich, dass er sich freut. Wunderbar! Wir wünschen uns noch eine schöne Tour und trennen uns wieder.

Ein Zeltplatz wie aus dem Bilderbuch

Unweit des Finnsbergvatnet sehe ich aus dem Augenwinkel etwas erhöht, aber dennoch gegen Sicht von der Route aus gedeckt, etwa 50 Meter neben der Spur den idealen Zeltplatz! Ich greife mir meine Schneeschaufel und prüfe ob die Schneehöhe für meine Schneeheringe ausreichend ist. Durch den vielen Schneedrift ist das nämlich gar nicht selbstverständlich. Aber hier passt alles. Unter 25 cm Pulverschnee ist eine nochmal doppelt so dicke Schicht fester Schnee. Besser könnte der Zeltplatz nicht sein.

Mein Camp für die letzte Nacht bevor ich Finse erreiche
Mein Camp für die letzte Nacht bevor ich Finse erreiche

Ich schnalle die Pulka ab und beginne mit den Ski eine Fläche für das Zelt festzutreten. Das Zelt steht wenige Minuten später. Da die Sonne scheint versuche ich es etwas zu trocknen was mir leidlich gelingt. Aber besser als nichts. Mit der Schaufel modelliere ich eine Küchenecke mit Ablage und lege einen Laufgraben zur „Keramikabteilung“ an. So dass ich mich auch nachts mit Zeltschuhen im Camp bewegen kann. Einen ersten Kaffee rühre ich noch mit heißem Wasser aus meiner Thermoskanne an. Ich sitze auf dem Packsack mit der Kleidung und lass mir einfach die Sonne ins Gesicht scheinen. Herrlich! Hier ist die Welt in Ordnung! Ich nehme das heutige Audiotagebuch im Freien auf. Ein Novum der Tour. Zeitgleich schmelze ich Schnee.

Audiotagebuch Tag 6

Zum Abendessen gibt es „Wildeintopf mit Reis“ von Blå Band. Der ist zwar vollgeknallt mit Geschmacksverstärkern, aber mir schmeckt es trotzdem. Eigentlich ist es mein Lieblingstrekkingessen. 😉

Anschließend nutze ich die letzten Minuten bevor die Sonne im Westen hinter den Bergen verschwindet um Fotos zu machen. Sobald die Sonne verschwunden ist, wird es leider auch empfindlich kalt und es treibt mich ins Zelt in den warmen Schlafsack. Morgen erreiche ich Finse. Noch 18km. Ich kann’s kaum glauben!

Abendstimmung auf der Hardangervida
Abendstimmung auf der Hardangervida

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