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Hardangervidda im Winter: Tag 7

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Die letzte Nacht meiner Winterüberquerung der Hardangervidda und dazu noch im Zelt. Gestern habe ich, aufgrund des gut gemeldeten Wetters, noch einmal spontan meinen Reiseplan über den Haufen geworfen. Demnach soll es schon heute bis nach Finse, dem Ziel meiner Tour, gehen.

Eine letzte Nacht im Zelt

Wie gewöhnlich schlafe ich im Zelt die Nacht nicht wirklich fest durch. Die beengten Platzverhältnisse in meinem Akto durch den voluminösen Schlafsack und die viele Kleidung, die mit in das Zelt wandert, tut ihr Übriges. Dadurch kann ich aber den Verlauf des Barometers gut verfolgen: Es bleibt auch diese Nacht stabil im Keller. Mir fällt die Deutung für das Wetter des kommenden Tages schwer. Ich glaube ich werde mich einfach überraschen lassen. Gegen 04:30 Uhr höre ich das Rascheln von fallendem Schnee auf der Folie des Außenzelts. Mmmmh… so richtig zum Wetterbericht von gestern Morgen passt das jetzt ja nicht! Egal, darum kümmere ich mich später. Noch einmal die Augen schließen.

Um 06:15 Uhr krieche ich aus dem Zelt. Draußen ist es richtig kalt. Wenigstens musste ich dadurch nicht in einer Tropfsteinhöhle wie am ersten Tag übernachten. Die Sonne wird noch etwas auf sich warten lassen, bis sie im Osten über die Bergketten gestiegen ist. Der Himmel sieht aber vielversprechender aus, als ich im Zelt noch zu wünschen gewagt habe. Im Osten ist die Bewölkung aufgelockert, im Norden, wo auch Finse liegt, verschwinden die Berge aber schon wenige Meter über meinem Standort in einer dicken weißen Nebelsuppe. Na, hoffentlich löst sich das noch im Laufe des Morgens auf.

Wintercamp am Morgen

Ich starte den Kocher und beginne mit dem morgendlichen Ritual der Schneeschmelze. Da mir bei diesen Temperaturen das Rumsitzen allerdings alles andere als angenehm ist, entscheide ich mich ein kurzes Video über mein Wintercamp zu drehen.

Gegen 08:30 Uhr bin ich abmarschbereit. Über Nacht muss der Wind doch etwas geblasen haben. Die Spuren der Norweger, die ich eine knappe Stunde vor meinem Zeltplatz getroffen habe, sind stellenweise schon wieder verdeckt aber noch zu erkennen.

Die Spuren der Norweger vom Vortag sind schon wieder fast gänzlich zugeweht
Die Spuren der Norweger vom Vortag sind schon wieder fast gänzlich zugeweht

Bis zum Hauptsee des Finnsbergvatnet geht es noch auf direktem Ostkurs. Ich komme gut voran. Man merkt doch deutlich, dass die Pulka nur noch mit der Ausrüstung beladen ist und kaum noch von Proviant beschwert wird, der zu Beginn der Reise etwas mehr als 1/3 des Gesamtgewichts ausgemacht hatte. Auf dem Finnsbergvatnet sehe ich aus der Entfernung zwei weitere Tourengeher mit Pulka. Ich bleibe einige Male stehen und winke kurz, aber bekomme nicht retour gewinkt. Dabei bin ich mir sicher, dass ich auch beobachtet werde, da der hintere der beiden Tourengeher ziemlich zurück hängt und der vordere lange auf ihn wartet bis er aufgeschlossen hat. Naja, es gibt komische Leute. Hundert Meter später treffe ich auf einen Wegweiser dem ich entnehme, dass die beiden wohl von Osten aus Krækkja kommen. Ich drehe an dem Wegweiser jedoch auf Nordkurs. Ab jetzt schrumpft die Distanz zu meinem Tourenziel auf das ich heute den 7. Tag in Folge zulaufe.

Zwei Tourengeher auf dem Finnsbergvatnet
Zwei Tourengeher auf dem Finnsbergvatnet

Leider scheinen sich die Wolken nicht aufzulösen und so verschluckt mich das Whiteout beim Anstieg hinauf zum Midnutvatnet und wird mich bis Finse nicht mehr entlassen. Wirklich schade, hatte ich mir doch nach dem gestrigen Wetterbericht eine Ankunft in Finse bei strahlendem Sonnenschein ausgemalt. Egal, das ist eben die Hardangervidda. Die folgenden Anstiege haben es in sich. So sind so steil, dass ich entweder Steigfelle aufziehen oder den Hang hinaufkreuzen muss. Da die Höhendifferenz laut Karte recht überschaubar ist, entscheide ich mich für letzteres. Meine Faulheit, die mich hindert die Felle aufzuziehen, führt nun dazu, dass ich Extrastrecke machen muss. Schockt mich aber nicht wirklich, da ich heute Nachmittag in Finse sein werde. FINSE! Wenn ich nur an die ersten zwei Tourentage zurück denke! Verrückt! Damals war ich richtig schwer am Zweifeln, ob ich es überhaupt bis Finse schaffen könnte oder ob mir irgendwo unterwegs der Saft und die Nerven ausgehen würden. Jetzt stehen nur noch knappe 10 km Luftlinie auf dem GPS-Display.

Das Wetter bleibt den letzten Tourentag leider ziemlich trist
Das Wetter bleibt den letzten Tourentag leider ziemlich trist

Ende der Isolation

Als ich das Zentrum des zugefrorenen Midnutvatnet erreiche, erlebe ich etwas, was ich die letzten 7 Tage überhaupt nicht vermisst habe: Mir begegnet ein wahrer Menschenansturm. Mit einer größeren Gruppe, die gerade auf ihren Rucksäcken sitzt und Pause macht, halte ich noch einen kurzen Schnack. Thomas hatte mir von einem deutschen Guide, der unweit Oslos wohnt, erzählt und berichtet, dass er diese Woche in Finse mit einer Gruppe starten würde. Auf ein Gespräch mit eben diesem Guide wäre ich ja schon scharf. So frage ich die ersten 2-3 Gruppen noch genau nach der prognostizierten Reisegruppe. Fehlanzeige! Irgendwann ist es mir dann doch nicht mehr so wichtig und meine Konversationen beschränken sich auf ein kurzes „Hei! Hei!“ im Vorbeigehen.

Jetzt trifft mich mein Wunsch nach Isolation wieder wie ein Dampfhammer.

Jetzt trifft mich mein Wunsch nach Isolation wieder wie ein Dampfhammer. Ich zeige schon Anzeichen, dass ich von meinen Mitmenschen genervt bin, wenn ich einem Gespräch ausweiche. Dabei würde ich mich wirklich nicht als unsozial bezeichnen. Mein Bedürfnis für tiefere Gespräche ist eben nur für einzelne wenige Personen wirklich ausgeprägt. So begegnet mir Gruppe um Gruppe während ich mich Finse nähere.

Auf Höhe des Store Hansbunuten haben sich zwei Herren rechter Hand der Route mit der Schneeschaufel eine Bank in den Schnee gegraben und mit einer Isomatte behaglich hergerichtet. Ich bleibe kurz stehen, da ich gerade wieder gemerkt habe, dass die Pulka doch nicht so leicht ist wie ich heute Morgen noch dachte. Sofort werde ich in ein Gespräch verwickelt. Da soll noch einer sagen Norweger seinen wenig kontaktfreudig! Also das kann ich zumindest für die gesellschaftlichen Kreise, die im Winter in die Berge gehen, nicht behaupten und für die anderen hält sich mein Interesse eh in Grenzen. 😉 Das obligatorische Woher und Wohin wird ausgetauscht. Sie möchten nach Krækkja, wie quasi alle Gruppen die mir entgegen gekommen sind und mit denen ich kurz gesprochen habe. Es ist bereits 13:30 Uhr. Das wird ein langer Tag für die Beiden, aber im Grunde müssen Sie sich auch nur entlang der inzwischen 2 Meter breit platt getretenen Spur halten und werden automatisch über die Hütte stolpern. Als sie hören, dass ich in Haukeliseter gestartet bin wirken sie überrascht. Hier im Nordteil der Vidda, wo sich alles rund um einige wenige große bewirtete Hütten abspielt, bin ich wohl auch schon so etwas wie ein Exot. Sie bieten mir ein Gebäck mit Zimt an, dessen Name ich leider wieder direkt vergesse nachdem mir die Packung gezeigt wurde. Es ist verdammt lecker und ich hätte gerne auf dem Rückweg in Oslo eine Packung mitgenommen. Es sieht aus wie Polarbröd nur eben mit einem Zimtaufstrich. Wir trennen uns wieder und ich bekomme noch hinterher gerufen hier wäre der höchste Punkt, ab jetzt geht es bis Finse nur noch bergab. Ich muss lachen, weiß ich doch inzwischen, dass es auf der Vidda so etwas wie „nur bergab“ von Natur aus nicht gibt.

Finse ist in Sicht!

Ich überquere eine Anhöhe und dann kann ich es zum ersten Mal sehen: FINSE! Ganz zart zeichnet sich die mir von früheren Reisen bekannte Silhouette des „Bahnhofstädtchens“ durch das Whiteout ab. Das Finse-Hotel, das Bahnhofsgebäude, allerlei kleinere Hütten und die große DNT-Finsehytta. Davor eine ebene weiße Fläche, der Finsevatnet.

Zum ersten Mal kommt mein Zielort Finse in Sicht
Zum ersten Mal kommt mein Zielort Finse in Sicht

Die beiden Norweger sollten Recht behalten. Ab jetzt geht es wirklich nur noch bergab. Ich lege eine längere Pause ein, bei der ich mich auf die Pulka setze. Die heutige Etappe ist zwar nicht die anstrengendste der ganzen Tour, aber dennoch fühle ich mich ziemlich müde. Jetzt ist aber auch nicht mehr die Zeit zu hetzen. Beef Jerky und Tee soll mich wieder auf die Füße stellen. Klappt leidlich, aber die „Herdanziehungskraft“ der DNT-Hütte tut ihr Übriges.

Eine letzte Pause vor meinem Tourenziel Finse
Eine letzte Pause vor meinem Tourenziel Finse

Bei der Abfahrt hinunter zum Finsevatnet treffe ich auf eine Gruppe Deutsche mit Schneeschuhen und Pulkas. Das ist wirklich eine exotische Mischung auf der Hardangervidda. Die ganzen Tage habe ich niemanden mit Schneeschuhen oder auch nur Spuren davon gesehen. Ausschließlich Langlaufski waren an die Füßen geschnallt. Als sie hören, dass ich Deutscher bin und dazu auch noch in Haukeliseter gestartet bin, kommen sie kaum noch aus dem Fragen heraus, da sie nach Haukeliseter wollen. „Wie ist die Route markiert, wie viele Leute hast Du jeden Tag getroffen,…“ Als ich ihnen berichte, dass es etwas südlich der Nationalstraße 7 keine Kviste mehr gibt und ich quasi auch niemanden mehr getroffen habe sind sie total happy. Sie suchen wohl auch gezielt nach Isolation. Dafür ist die Gruppe mit 6 Personen aber auch wiederum sehr groß. Außerdem werden sie mit Schneeschuhen noch einige Tage brauchen bis sie überhaupt in dieser Region der Vidda ankommen. Aber gut,… jedem das seine.

Durch die Schneeschuhe ist der folgende Abschnitt der Abfahrt wie planiert und so rutschen die Ski und die Pulka hervorragend. In Null-Komma-Nix bin ich auf dem See und halte auf den Bahnhof zu. Dort muss ich noch meinen Arbeitskollegen in die Webcam winken. So war es zu Hause abgemacht. 😀 Ein kurzer Anruf in Speyer bereitet das Kollegium darauf vor.

Ankunft

Um 14:30 Uhr stehe ich auf dem Bahnhofsvorplatz und mache als erstes das obligatorische Selfie vor dem Schild des Finse-Hotels, das ich auch damals auf meiner Umrundung des Kattegats mit dem Reiserad bereits aufgenommen habe.

Das obligatorische Zielselfie in Finse: Angekommen!
Das obligatorische Zielselfie in Finse: Angekommen!

Anschließend ein weiterer Anruf in Speyer, winken, kurz berichten. Ich bin richtig platt. Ich realisiere noch nicht, dass meine Überquerung am Ziel angekommen ist und die Strapazen der letzten Tage nun Ihr Ende gefunden haben. Ich halte mich kurz am Telefon.

Zielfoto der Finse-Webcam
Zielfoto der Finse-Webcam

Anschließend wenige hundert Meter bis zur DNT-Hütte. Pulka abschnallen, das letzte Mal für diese Tour. Ski in den Schnee stecken, Hüttentür auf. Wärme schlägt mir entgegen. Mütze ab. ANGEKOMMEN!

Was bleibt?

Am Ende einer solchen Tour fragt man sich natürlich was man davon mit nach Hause nimmt: Die Erinnerung an Höhen und Tiefen, mit der damit verbundenen Zuversicht aber auch Zweifel. Die Feststellung, dass man eine mehrtägige Wintertour mit wechselndem Wetter gewachsen ist. Das eine Pulka verdammt schwer und das Tempo verdammt niedrig sein können. Die Gewissheit, dass Soloreisen weiterhin genau mein Ding sind, aber dass ich dabei auch den Kontakt zu tollen Menschen nicht scheue. Das war definitiv nicht meine letzte Wintertour! Aber das nächste Mal muss es dann doch noch etwas abgelegener sein. 😉

Positiv werden mir besonders die Norweger selbst in Erinnerung bleiben. Hilfsbereit habe ich sie schon auf früheren Reisen erlebt, aber die Kontaktfreudigkeit die mir entgegenschlug hat mich dann doch überrascht. Unglaublich leicht wird man in ein Gespräch verwickelt. Das habe ich bei meiner Tour mit dem Reiserad Rund ums Kattegat so nicht erleben dürfen. Norwegen ich komme wieder!

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